• Offizieller Beitrag

    Auf Pjotrs Anregung hin erstelle ich einen neuen Thread zu der Diskussion, die sich gerade im Kinderzimmer anbahnt. Warum ist die heutige Jugend so ... weich? ... kriminell? ... gelangweilt? ... anders als früher? Stmmt das überhaupt, oder handelt es sich nur um eine verschobene Wahrnehumung? Immerhin sagt je bereits Sokrates: „Die Jugend von heute liebt den Luxus, hat schlechte Manieren und verachtet die Autorität. Sie widersprechen ihren Eltern, legen die Beine übereinander und tyrannisieren ihre Lehrer.“

    Als kleine Einstimmung und "Polarisierungshilfe" :D poste ich nochmal den häufig im Netz kursierenden Text, der bereits im Kinderzimmer steht:

    “Wir waren Helden. Wenn du nach 1978 geboren wurdest, hat das hier nichts mit dir zu tun.

    Kinder von heute werden in Watte gepackt!

    Wenn du als Kind in den 70er oder 80er Jahren lebtest, ist es zurückblickend kaum zu glauben, daß wir so lange überleben konnten!

    Als Kinder saßen wir in Autos ohne Sicherheitsgurte und ohne Airbags.

    Unsere Bettchen waren angemalt mit Farben voller Blei und Cadmium. Die Fläschchen aus der Apotheke konnten wir ohne Schwierigkeiten öffnen, genauso wie die Flasche mit Bleichmittel. Türen und Schränke waren eine ständige Bedrohung für unsere Fingerchen und auf dem Fahrrad trugen wir nie einen Helm.

    Wir tranken Wasser aus Wasserhähnen und nicht aus Flaschen. Wir bauten Wagen aus Seifenkisten und entdeckten während der ersten Fahrt den Hang hinunter, daß wir die Bremsen vergessen hatten. Damit kamen wir nach einigen Unfällen klar.

    Wir verließen morgens das Haus zum Spielen. Wir blieben den ganzen Tag weg und mußten erst zu Hause sein, wenn die Straßenlaternen angingen.

    Niemand wußte, wo wir waren und wir hatten nicht mal ein Handy dabei!

    Wir haben uns geschnitten, brachen uns Knochen und Zähne und niemand wurde deswegen verklagt. Es waren eben Unfälle. Niemand hatte Schuld außer wir selbst. Keiner fragte nach “Aufsichtspflicht”. Kannst du dich noch an “Unfälle” erinnern?

    Wir kämpften und schlugen einander manchmal grün und blau. Damit mussten wir leben, denn es interessierte die Erwachsenen nicht besonders. Wir aßen Kekse, Brot mit dick Butter, tranken sehr viel und wurden trotzdem nicht zu dick. Wir tranken mit unseren Freunden aus einer Flasche und niemand starb an den Folgen.

    Wir hatten nicht:
    Playstation
    Nintendo 64
    X-Box
    Videospiele
    64 Fernsehkanäle
    Filme auf Video
    Surround Sound
    eigene Fernseher
    Computer
    Internet-Chat-Rooms

    Wir hatten Freunde!!!

    Wir gingen einfach raus und trafen sie auf der Straße. Oder wir marschierten einfach zu deren Heim und klingelten.

    Manchmal brauchten wir gar nicht klingeln und gingen einfach hinein.

    Ohne Termin und ohne Wissen unserer gegenseitigen Eltern. Keiner brachte uns und keiner holte uns.

    Wie war das nur möglich?

    Wir dachten uns Spiele aus mit Holzstöcken und Tennisbällen. Außerdem aßen wir Würmer. Und die Prophezeiungen trafen nicht ein: Die Würmer lebten nicht in unseren Mägen für immer weiter und mit den Stöcken stachen wir auch nicht besonders viele Augen aus.

    Beim Straßenfußball durfte nur mitmachen, wer gut war. Wer nicht gut war, mußte lernen, mit Enttäuschungen klarzukommen. Manche Schüler waren nicht so schlau wie andere. Sie rasselten durch Prüfungen und wiederholten Klassen. Das führte damals nicht zu emotionalen Elternabenden oder gar zur Änderung der Leistungsbewertung.

    Unsere Taten hatten manchmal Konsequenzen. Das war klar und keiner konnte sich verstecken. Wenn einer von uns gegen das Gesetz verstoßen hat, war klar, daß die Eltern ihn nicht automatisch aus dem Schlamassel heraushauen. Im Gegenteil: Sie waren oft der gleichen Meinung wie die Polizei! So etwas!

    Unsere Generation hat eine Fälle von innovativen Problemlösern und Erfindern mit Risikobereitschaft hervorgebracht. Wir hatten Freiheit, Mißerfolg, Erfolg und Verantwortung. Mit alldem wußten wir umzugehen.

    Und du gehörst auch dazu.
    Herzlichen Glückwunsch!"

    Gespannt seiend,

    Labi.

    Die schwerwiegendste und gefährlichste aller Resistenzbildungen ist immer noch die Faktenresistenz.

    Mia Paulsen, Uni München

  • Danke, lieber Labi,

    ich werde sicherlich auch noch ausführlicher darauf eingehen, aber so als erste spontane Blitzlichter:

    Ich denke, die Jugend ist immer so, wie die Altvorderen sie erzogen haben. Wenn etwas mit der Jugend nicht stimmt, ist das meistens (immer?) ein Zeichen, dass mit den Erwachsenen etwas nicht stimmt.

    Man kann Kinder nicht verwöhnen bis zum gehtnichtmehr, und hinterher darüber klagen, dass die Kiddies keine Verantwortung übernehmen (wollen, können).

    Man kann die Kinder nicht 15 Jahre lang "weichspülen" und dann erwarten, dass sie mit der Realität klarkommt, die eben alles anderes als weich ist.

    Man kann Kinder nicht eine Kindheit und Jugend ohne Rücksichtnahme und voll von Egozentrik "schenken" und dann erwarten, dass dabei soziale Menschen entstehen.

    Man kann Kinder nicht ohne Regeln und ohne Struktur (manche nennen das "Ordnung", aber das wage ich ja schon gar nicht zu schreiben) aufwachsen lassen, und dann hoffen, sie würden das irgendwann von alleine schaffen.

    Kinder brauchen, Strukturen, Grenzen, Regeln, und wenn man die ihnen nicht bietet, beschädigt man diese Kinder und schadet ihnen.

    Ich plädiere hier keinesfalls für "strenge Ordnung und Befehlspädagogik", aber ich plädiere dafür, Kindern ein Handlungsgerüst zu bieten (auch wenn diese Notwendigkeit vielleicht noch nicht einsehen), anhand dessen sie lernen können, wie es später im Leben mit dem Erwachsensein ist.

    Und zum Erwachsensein gehören als Mindestanforderung:

    Verantwortung für sich selbst und andere und auch für das Gemeinwesen;
    Freundschaften;
    Nähe (real, nicht virtuell);
    Mitgefühl,
    Respekt vor anderen und
    Kommunikation(sfähigkeit).

    Ich kenne Familien, da kommuniziert man innerhalb eines Hauses nur noch übers Internet, d.h. Kinder im Kinderzimmer chatten mit Papa im Arbeitszimmer und Mama postet aus dem ersten Stock ihre Mails an alle.

    Ich finde das, sorry, pervers. Jedenfalls dann, wenn es die einzige oder die hauptsächliche Kommunikationsart ist.

    Das als erste, schnelle Reaktion, das Frühstück wartet...

    Peter

    • Offizieller Beitrag

    Wie war das denn noch früher? :gruebel:

    Wer konnte die Verbindung zwischen Bleistift und Kassette herstellen? :D

    Ja, der Text hat in gewisser Weise recht. Heute ist vieles sicherer und einfacher. Betimmt. Oder?

    Die Dinge wie Airbag, Kindersichere Verschlüsse (d.h. Verschlüsse die Kinder auf jeden Fall aufbekommen) für Flaschen, bleifreie Farbe, etc. nennt sich einfach Fortschritt.
    Klar früher hat es das nicht gegeben, da es da nun einmal einfach nicht gab. Punkt.

    Wer sich da beschwert ist eifersüchtig auf die Jungen oder/und sauer auf die vorherige Generation, weil die das nicht hinbekommen haben.

    Aber zu den Gefahren: Es gibt andere.
    Vereinsamung, trotz der 300 Freunde bei Facebook.
    Informationsüberflutung, durch 400 TV-Sender, Internet, Smartphone, etc.
    Soziale Kälte, Egoismus.

    Vieles wird Kindern hier vorgelebt. Keiner hat Lust dem anderen einen Gefallen zu tun, einfach weil es nett ist. Es wir immer eine Gegenleistung erwartet. Vielleicht auch zwei, da die erste nicht unbedingt dem Wert entsprochen hat.

    Die neuen Medien sind da sehr interessant. Sie sind neu für Jung und Alt.
    Die Jungen wachsen damit auf. Die Alten müssen regeln finden, wissen aber nicht welche und wie.
    Wie bringe ich einem Kind nun bei, dass es regeln einhalten soll, obwohl es merkt, dass der Regelersteller selbst auch keine Ahnung hat. Wieso darf der nun bestimmen?
    I.d.R. gilt ja der Grund "Weil ich Erwachsen bin".
    Bis zu einem gewissen Alter funktioniert das auch.

    Ich weiß, dass ich meinen Kindern später Regeln vorsetzen werde. Ich weiß noch nicht wie die aussehen, da die Technik bis dahin wahrscheinlich noch ein paar Sprünge machen wird. Vielleicht brauch ich mir auch keine Gedanken darüber machen...wer weiß :D

    Aber Regeln müssen entstehen. Was ich leider eine Zeit lang beobachten konnte, war auch das Eltern ihre Verantwortung "abgeben". Verhaltensregeln, Abhärtung, sozial kompetenzen soll das Kind in der Schule lernen. Oder vielleicht noch im Verein.

    "Ihr Kind macht Probleme." - "Ja, dann denken sie sich doch eine Strafe aus."
    Dieser Dialog kam tatsächlich mal beim Anfängerschwimmen vor.

    Kommunikation findet also nicht nur zwischen jungen Menschen nicht statt sondern auch in anderen Konstellationen: Jung - Alt und Alt -Alt.

    • Offizieller Beitrag

    Ich finde es als Elternteil, der sich bemüht, so manche Tugend der Vergangenheit zu bewahren, unheimlich schwer, sich gegenüber der Flut von Forderungen zu behaupten, die schon aufgrund der Umweltwahrnehmung der Kinder auf einen einstürzen.

    Ich weigere mich, meinen Kindern ein Handy zu bezahlen, das sie nicht brauchen. Ein Kind muss nicht mit zehn oder 12 Jahren immer und überall erreichbar sein. Ein Kind muss auch nicht immer und überall jemanden erreichen können. Das fördert eine gewisse Selbständigkeit, die Fähigkeit, auch mal selbst über die Lösung einer (kleineren) Problems nachzudenken, reale Sozialkontakte, etc.
    Aber ich setze sie damit der Gefahr aus, zum Außenseiter in ihrer Gemeinschaft zu machen.

    Ich weigere mich, meine Kinder immer une überall hinzukutschieren - so fern sie ein funktionstüchtiges Fahrrad besitzen. Zehn Kilometer sind machbar. Auch, wenn's mal einen Berg raufgeht. Man darf ja zur Belohnung auch wieder runterfahren.

    Wenn ich meine Kindheit sehe, mit dem was die sogenannten Kids heute machen, wobei ihnen sicherlich an Möglichkeiten nicht weniger zur Verfügung steht als uns früher, dann wird mir schlecht.
    Es gibt Ausnahmen, aber die fallen irgendwie nicht so auf, finde ich. :|

  • Aber ich setze sie damit der Gefahr aus, zum Außenseiter in ihrer Gemeinschaft zu machen.

    Ist das wirklich so? Früher hiess es auch immer, Familien ohne Fernsehen machen ihre Kinder zu Aussenseiter. Ich habe ja insgesamt 5 Jahre in Kindergärten und Horte gearbeitet, also mit Kindern zwischen 2 und 12 Jahren. Da gab es EINIGE Familien, die keinen TV hatten (besonders in meiner ersten Stelle, einer Elterninitiatve) und auch dort hatten manche Eltern diese Sorge. Aber ganz ehrlich: Ich habe KEINES dieser Kinder als Aussenseiter erlebt, und ich habe ihre Entwicklung sehr sorgsam mit verfolgt, manche bis in ihr Erwachsenenleben hinein. Noch vor 3 oder 4 Jahren traf ich einen "meiner" Kindergartenkinder, das mir als Kleinkind in den 80er Jahren auf dem Schoss rumsprang, und das ich dann ausgewachsenen evangelischen Pfarrer wiedertraf.

    Ich frage mich manchmal, ob wir uns viel zu sehr auf solche Aussagen, die dann meistens auch ohne Beweis von irgendwelchen Interessierten getätigt werden, ängstigen und beeinflussen lassen.

    Liebe Grüsse

    Peter

    • Offizieller Beitrag

    Es stimmt schon: Es ist nicht immer der der Außenseiter, der jeden Mist mitmacht. Aber in der schnelllebigen Zeit ist man auch schneller aus einer Gruppe raus. Allerdings auch schneller wieder drin. :D Denn oberflächliche Menschen (ich zähle Kinder und, ja, sogar Jugendliche jetzt auch mal zu dieser Gruppe dazu) sind auch ganz fix wieder vom Gegenteil des Gegenteils überzeugt.

    • Offizieller Beitrag

    Es wäre beispielsweise wünschenswert, einen Beitrag von Betroffenen über den physischen und psychischen Verfall der Jugend zu bekommen.

    Da kriegt er wieder Hörner... :D

    ich sehe keine Abweichung vom Thema :augenbr::nin:


    :flieh:

  • hm
    also ich versuch es mal :D

    Nun bin ich ja selbst noch recht jung, denke ich, und mir persönlich fällt es sehr auf, dass sich sogar im Gegensatz zu meiner eigenen Kindheit die Kinder heute teilweise ziemlich respektlos verhalten und unhöflich sind.
    von Verbalen total-Verirrungen mal ganz zu schweigen.

    Bitte oder Danke? Wo kommen wir da hin?
    Statt "Ich möchte" heißt es "Ich will". Zu warten bis man an der Reihe ist, wird eh überbewertet.
    Mama heißt nun wohl "Mudda" und Papa "Alda", zumindest wenn ich mir so an schaue was bei mir auf der Arbeit jeden Tag so aufschlägt. Wobei Alda son all-rounder zu sein scheint.
    Und wenn sie etwas anstellen, schauen die Eltern schön weg. Aber wehe man sagt dann was, dann sind sie da und gegen einen.

    Vor einer Woche haben mir vier frisch Pubertäre Gestalten (so zwischen 11-13 Jahre) nicht nur die Hälfte des Geschirrs geklaut, nein sie haben besagtes Diebesgut dann genutzt um es in der Toilette zu zerdeppern.
    Wie kommt man auf so etwas?
    Und was bekommt man zu hören wenn man fragt "Was soll das?". N dummes Grinsen und ein "Is doch egal, Alda, ist ja nicht meins!"
    Ne ist klar.

    Die Probleme die diese Kinder haben fangen zuhause an, dass sehe ich auch so.
    Das kann verschiedene Formen annehmen.
    Ein großes Problem ist meiner Meinung nach aber das große Desinteresse vieler Eltern an ihren Kindern. Internet und Fernsehen erziehen die Kleinen und sobald sie alt genug sind, um das Haus alleine zu verlassen, kommen sie auch schon irgendwie durch.
    Die eigene Perspektivlosigkeit vieler Eltern ist meiner Meinung nach auch ein großes Problem. Die Eltern verkünden laut und ausgiebig wie sehr sie auf alles "sch****" und genau so lernen das auch die Kinder.

    Ich habe heute in einem Buch eine ganz interessante Stelle gelesen und denke das passt hier vllt auch:

    "Es sind angeberische, konsumfreudige Egoisten, denen man schon in der Kindheit beigebracht hatte, dass Selbstbewusstsein wichtiger sei als Wissen und das Manieren und Verhaltensregeln bloß Werkzeuge der Unterdrückung darstellen."

  • Es wäre beispielsweise wünschenswert, einen Beitrag von Betroffenen über den physischen und psychischen Verfall der Jugend zu bekommen.

    Meiner Meinung nach lebt die heutige Jugend das nach, was ihre Eltern und Lehrer und Medien (!) ihnen vorleben.

    Wie sollen Kinder höflich werden, wenn weder Eltern noch Lehrer noch die allmächtigen Medien dies vorleben.

    Shows, in denen Menschen vorgeführt werden (Beispiele: Deutschland sucht den Superstar) -
    Pseudo-Gerichtssendungen, in denen der Pöbel losgelassen wird, und das zur Belustigung des Fernsehzuschauers,
    absolute Ich-Forderungsmentalität der Eltern,
    Resignation der Lehrer, usw.

    Drei konkrete, alltäglich, simple, aber ich glaube, recht aussagekräftige Beispiele:

    Ich bin sehr aktiv in einem Forum, das sich mit einer meiner Krankheiten befasst. Dort können aber auch Nichtbetroffene mitmachen, daher ist das Forum sehr gross. Ich bin dort seit mehr als 6 Jahren aktiv, habe mehr als 10000 Beiträge als Antworten auf Nachfragen geschrieben. Ich versuche zu helfen, gebe Informationen über die Krankheit, bei der ich mich sehr gut auskenne, und gebe auch aufgrund meines früheren Berufs psychologisch tendierte Ratschläge, denn eine körperliche Krankheit zieht fast immer auch seelische Probleme nach sich. Schön und gut. Es kommen zahllose Anfragen bei mir an, auch per PN, also "hinter den Kulissen". Aber von 100 Fragern, denen ich Antwort gebe (und zwar meistens sehr ausführlich), sind es vielleicht 5 (!), die hinterher ein "Danke" sagen. Und dort in dem Forum sind keine Jugendlichen, sondern erwachsene Menschen. Wie sollen denn die Kinder und Jugendlichen lernen, höflich zu sein, und auf eine Hilfe mit einem "Danke" reagieren, wenn ihre Eltern das auch nicht machen?

    Das zweite Beispiel ist noch viel absurder: Der Sohn von Freunden ist Richter. Und der sagte mir letztens, dass sich das Verhalten von Angeklagten, Zeugen und Publikum derart "verdreckt" hat (Originalzitat dieses Richters), seitdem diese dämlichen Gerichtsshows bei RTL oder sat 1 laufen, dass es kaum noch zu ertragen sei. Es wird gepöbelt, gejohlt, dazwischen geredet, weil man es eben so aus den Gerichtsshows kennt, die für die Realität gehalten werden.

    Beispiel drei: Ich habe schon mehrfach erlebt, dass Kinder in solchen Dingen vernünftiger und sensibler sind als ihre Eltern. Eines meiner letzten Erlebnisse im Öffentlichen Personenverkehr war in Düsseldorf, vor ca. 1,5 Jahren, kurz vor unserem Umzug nach Bayern. Die Strassenbahn war voll besetzt, ein älterer Herr kam in die Strassenbahn (ca. 75-80 Jahre alt, nicht gehbehindert oder so, aber altersgemäss gebrechlich), und ein kleines Mädchen, ca. 8 Jahre alt, wollte aufstehen und dem älteren Herrn Platz machen. Und jetzt kommt es: Die neben dem Kind sitzende Mutter (!) drückt das Kind auf den Sitz zurück und faucht "Du hattest heute Schule und bist genauso müde..." Im Prinzip stimmt das sogar. Ich würde von einem Schulkind niemals einen Platz annehmen, sondern mich bedanken, und sagen, dass das Kind sicherlich müder ist als ich. Aber der Mann war wirklich alt, er war gebrechlich, also stand ich auf, und machte dem Herrn den Sitz frei. Das war übrigens keine Mutter aus einem sozialen Brennpunkt oder so (auf die wird so ein Verhalten ja gerne geschoben). Im Gegenteil, sie gehörte nach Sprache, Kleidung, Frisur und Aussehen sicherlich der Mittelschicht an.

    Langer Rede, kurzer Sinn, manchmal denke ich, man müsste sich viel mehr über den "Vorbildstil" der erwachsenen Menschen aufregen als über "die Jugend" , denn im Laufe meines ja doch nun schon recht langen Lebens habe ich mehr und mehr begriffen, was ich vor 30 Jahren mal im Studium theoretisch lernte: Dass soziales Verhalten immer "am Modell" gelernt wird, also am Vorbild. Und das sind nun einmal in den prägenden Kindheitsjahren die Eltern, die Lehrer, "die Erwachsenen", die Medien und auch die Freunde der Kinder. Auf letztere können wir nicht einwirken (meistens), aber alle anderen Faktoren sind durch uns (!) korrigierbar, lenkbar. Und ich behaupte, dass für 90% (mindestens) der Jugendlichen gilt: Wenn das Modell stimmt (Erwachsene, Eltern, Medien, Lehrer), dann stimmen später auch die Freunde.

    Zum körperlichen Verfall (mir gefällt das Wort "Verfall" nicht...): Ich denke, dass das nicht nur an dem von allen Seiten verfluchten, aber von nahezu allen dennoch gegessenen Fastfood liegt, sondern daran, dass das Modell (wieder einmal!) nicht stimmt: Welche Eltern kochen denn noch zuhause? Und das regelmässig? Und mit KOCHEN meine ich nicht das Aufwärmen von Fertiggerichten in der Mikrowelle oder gar aus Konservendosen. Und genauso fraglich finde ich, wenn dauernd nur das Lieblingsessen der Kleinen gekocht wird. Kinder sollten es auch ertragen lernen, dass mal etwas nicht so ganz 100% "passt". Natürlich sollen Kinder nicht essen müssen, was sie ganz und gar nicht mögen. Es gibt zwei, drei Lebensmittel, die kriege ich einfach nicht runter, da schaudert es mich schon seit meiner Kindheit (das waren, als ich noch kein Vegetarier war, sämtliche Innereien, und das sind bis heute Rote Beete und grüne, sauer eingelegte Bohnen). Aber ich würde es nicht dulden, dass z.B. meine Kinder generell kein Gemüse essen, wie das der Sohn meines besten Freundes bis zu seinem ca. 17. Lebensjahr getan hat. Die Eltern haben ihm tonnenweise Vitaminpräparate gegeben, damit er die notwendigen Nährstoffe bekommt, und so einen Zirkus hätte ich SICHERLICH nicht mitgemacht. Es gibt hunderte Gemüsesorten und da findet man sicherlich eine handvoll, die auch diesem besagten Kind schmecken. Ich würde da mit dem Kind auf die Suche gehen, und ich bin SICHER, wir würden etwas finden.

    Jetzt können natürlich einige sagen, dass ich ja keine Kinder habe. Stimmt. Aber ich habe viele Jahre mit Kindern gearbeitet, ja, in gewisser Weise sogar mit denen zusammengelebt, z.B. in Heimen. Ich erlaube mir da durchaus ein Urteil, das nicht nur aus dem Bauch heraus gesagt wird... ;)

    Lieben Gruss

    Peter

  • Ein großes Problem ist meiner Meinung nach aber das große Desinteresse vieler Eltern an ihren Kindern. Internet und Fernsehen erziehen die Kleinen und sobald sie alt genug sind, um das Haus alleine zu verlassen, kommen sie auch schon irgendwie durch.
    Die eigene Perspektivlosigkeit vieler Eltern ist meiner Meinung nach auch ein großes Problem. Die Eltern verkünden laut und ausgiebig wie sehr sie auf alles "sch****" und genau so lernen das auch die Kinder.

    Richtig. Und auch das Zitat finde ich sehr passend, und hier muss sich meine Generation, die Alt-68er, an ihre Nase packen: Das haben sie mit verbrochen. So segensreich unsere Generation auch bei der Überwindung von Obrigkeitshörigkeit, von sexueller Verklemmung usw. in den 60er und 70er Jahren war, so sehr hat sie "das Kind mit dem Bade ausgeschüttet", also über-agiert.

    Lieben Gruss

    Peter